Er hatte auch grossartige Ideen
Ich freue mich sehr über diese Gelegenheit Rupert Riedl für lebenslange Inspiration zu danken. Ich wurde dem ‚Meister‘ (so, späterhin, von uns Studenten benannt, und das völlig ohne Sarkasmus) im Frühjahr 1955 vorgestellt. Ich hatte eben maturiert und kam zum Zoologischen Institut der alten Universität um meine ersten Unterwasserfotos herzuzeigen, die ich im Vorjahr in Sistiana und auf Elba (Italien) mit einer Robot Kamera im selbst-gebasteltem Gehäuse produziert hatte. Die Fotos, die meisten in kleinen Meereshöhlen aufgenommen, zeigten vorwiegend Schwämme, was mir etwas peinlich war, da sie die einzigen Tiere waren die still sassen, während meine Fisch- und Krabbenbilder alle verschwommen waren. Trotzdem war ich daran interessiert herauszufinden wie die Schwämme hießen und was wohl ihre Rolle an diesen Küsten wäre.
Da Rupert damals die gleichen Fragen, aber auch keine Antworten hatte, bekam ich sofort ein Dissertationsthema zugeteilt, und er war ohne Sorge dass ich noch nicht einmal inskribiert war. Rupert war damals ‚bloß‘ Universitätsassistent (jede Abteilung hatte nur einen vollen Professor, den Ordinarius), hatte aber die Authorität Dissertationen zu inspirieren und zu betreuen. So wurde ich sein dritter Dissertant, gleich hinter Ernst Kirsteuer (der Nemertine Würmer studierte) and Hellmuth Forstner (Krabben, Verhaltungsbiologie), und kurz vor Arnfried Antonius (dem auch Würmer zugeteilt wurden, naemlich die taxonomisch sehr schwierigen acoelen Turbellarien).
Wir Studenten entwickelten eine grossartige Kameradschaft, nicht nur mit dem Meister sondern auch untereinander, weiterhin gefestigt durch philosophische Diskussionen während späten Abendessen in einem nahen Beisel und Feldarbeit an der Meeresbiologischen Station in Rovinj (Kroatien). Wir alle hatten den gleichen Abendteuersinn und Enthusiasmus für Meeresforschung und Entwicklung neuer Tauchgeräte, Kameras, oder experimentaler Instrumente. Bloß, Rupert war uns zumindest eine Dekade voraus, wofür wir ihn bewunderten und worin wir viel Inspiration fanden. Aber er hatte auch grossartige Ideen betreffend der Biologie und Őkologie unserer Studienorganismen die wir weiter entwickeln konnten, selbst wenn einige am Ende mit den harten Daten nicht in Einklang gebracht werden konnten.
Rupert führte mich in die wundersame Welt der Schwammbiologie durch zwei Aktionen ein. Erstmal übergab er mir, zur Aufarbeitung, das quantitative Datenmaterial der Schwämme, die während der von ihm eine Dekade vorher geleiteten Tyrrhenia Expedition in Brandungshöhlen des Capo di Sorrento (Italien) gesammelt worden waren. Es gab da viel Statistik zu lernen und Synonymien zu klären, und Namen zu ueberprüfen die während der Feldarbeit aus der damals spärlichen Literatur geschöpft wurden. Natürlich wollte ich die Belegexemplare studieren, doch stellte sich nach einigem Forschen heraus, dass sie einer Hausrenovierung des seinerzeit zuständigen Sammlers und Beträuers zum Opfer gefallen waren. Diese unglückliche Erkenntnis führte zur Aktion 2, nämlich die Haupthöhle am Kap (lokal als Tuffo Tuffo bekannt) zu besuchen und qualitativ die Schwammarten wieder zu sammeln. Wir machten diese Reise gemeinsam und verbanden sie mit einem Besuch bei Professor Michele Sarà, dem Gründer moderner Schwammforschung in Italien, damals an der Universität von Neapel. Somit wurde Michele mein zweiter Dissertationsbetreuer.
Nach Beendigung meiner Dissertation, die die Höhlenschwämme der Istrianischen Küste bei Rovinj zum Thema hatte, ergab es sich dass Professor Ernst Mayr, Direktor des Museum of Comparative Zoology (MCZ) an der Harvard Universität (USA) einen Besuch in Wien machte. Dort traf er Rupert und fragte ihn, ob er einen jungen Wissenschaftler empfehlen könne, der für einige Monate am MCZ die marine Evertebraten-Sammlung evaluieren und umordnen könne. Rupert fand dass ich die nötige Qualifikation hatte und die Erfahrung brauchen könnte und gab mir seine Empfehlung. Dieser Beschluss, gemeinsam mit meiner Ausbildung in der Biologie der Meeresschwämme, bestimmte mein weiteres Schicksal, obwohl selbst Rupert diesen Weg nicht hätte voraussehen können. Während meiner Harvard Zeit machte ich Feldarbeit in Bimini (Bahamas) und verbracht einige Tage auf der Durchreise als Tourist in Washington. Dort wurde ich dem Chairman des neuen Department of Invertebrate Zoology an der Smithsonian Institution vorgestellt, der mir sagte sie hätten einen Posten frei fuer einen Schwammspezialisten und ich sollte mich darum bewerben. Zwei Jahre später, 1965, meldete ich mich wieder am Smithsonian, diesmals als Immigrant und Bundesangestellter, für eine Position die ich noch heute habe, was ich nie bereut habe. Danke Rupert!
Klaus Ruetzler, PhD, Research Biologist, Department of Invertebrate Zoology, National Museum of Natural History, Smithsonian Institution, Washington, D.C., USA.
Große Menschen hinterlassen ihre Spuren
Ich begegnete Rupert Riedl zum ersten Mal 1963 als Student im sagenumwobenen „Rovinj-Kurs“ der Zoologie in Wien. Danach waren alle Pläne Geologie, Botanik oder Blütenbiologie zu studieren vergessen: Es musste Meeresbiologie bei diesem Feuergeist sein, der als junger Dozent einen unübersehbaren Kontrast zu der professoralen Saturiertheit der Ordinarien verkörperte. Ich bin heute noch jenem Versprecher dankbar, der mir einen Dissertantenplatz bei Rupert Riedl bescherte und der zu einer ungebrochenen Beziehung als Student, Post-Doc und Assistent führte, die in seiner Zeitdauer nur von Smoky und einigen wenigen seiner Freunde übertroffen werden.
Große Menschen hinterlassen ihre Spuren nicht nur durch ihre eigenen Leistungen, sondern auch in den Köpfen und Charakteren der Personen, mit denen sie interagieren. Wir, seine Studenten, nannten Rupert Riedl den „Meister“ und uns seine „Schüler“ („disciples“, not „students“) und ließen uns stolz und selbstbewusst dafür verspotten, in dem Bewusstsein, dass keiner unserer anderen akademischen Lehrer diesen Titel verdient hätte.
Wie alle großen Persönlichkeiten war Rupert Riedl kein einfacher Mensch. Er war sparsam mit Lob und sarkastisch in der Kritik. Seine Zornesausbrüche waren Legende. Er war von großer Ungeduld gegenüber Dummheit, Faulheit und Unfähigkeit – und er machte kein Hehl daraus. Er verabscheute Mittelmäßigkeit und ließ es allen wissen, die er dafür hielt. Er war seiner Welt drei Jahrzehnte voraus und teilte dies freimütig allen mit. Es ist nicht verwunderlich dass ihm dies bei vielen keine Freunde schuf. Aber für uns, seine Schüler, war dies ein ungeheurer Antrieb stets unser Bestes zu geben, weil wir wussten, dass es für ihn nie gut genug sein würde.
Rupert Riedls Dominanz war zeitweise übermächtig. Bei jedem Treffen seiner Schüler war es unvermeidlich, dass nach spätestens einer halben Stunde das Gespräch um ihn kreiste. Er war der einzige Mensch, der mir als Erwachsener vor Wut die Tränen in die Augen trieb, weil ich mich von ihm ungerecht behandelt und missverstanden fühlte.
Aber das alles erscheint unwichtig gegenüber dem Geschenk mit einem Menschen zu arbeiten, der Visionen hatte, der uns den Wert von Lebensplanung beibrachte, uns in die Internationalität führte, als viele unserer Altersgenossen noch die „häusliche Umnachtung“, wie er es zu nennen pflegte, vorzogen. In den vielen Jahren, die ich Rupert Riedls Assistent in den USA und Österreich war, hat er immer meine wissenschaftliche Weiterentwicklung gefördert, sich nie in meine Forschung eingemischt und mich nie als Zuarbeiter für seine wissenschaftliche Arbeit verwendet, ein Schicksal, dass viele Assistenten an der Universität erlitten. Für diese Freiheit bin ich ihm dankbar – und auch für die Kontrolle durch seine Qualitätsmaßstäbe, die zu unterschreiten für uns undenkbar war.
Rupert Riedl hat sich nie gescheut, sich für eine ihm wichtige Angelegenheit zu exponieren. Sein Engagement in Umweltbelangen und in den letzten Jahren seine Kritik an der unheiligen Allianz von Wissenschaft und Wirtschaft haben ihm auch viele Gegner geschaffen. Rupert Riedl war sich dessen bewusst und voll Vorsicht gegenüber Menschen seiner Umgebung. Mancher vermeintliche Gegner war jedoch nur ein wohlmeinender Widerspruchsgeist.
Ich möchte Rupert Riedl danken, für seinen Einsatz für eine menschliche Form der Gesellschaft, für eine Umwelt welche die Bedürfnisse der Menschen mit denen aller anderen Kreaturen verbindet, für seinen Einfluss auf das intellektuelle Klima in unserem Land, für die Leistung in einem Binnenland das Fach Meeresbiologie als anerkannten Wissenschaftszweig zu etablieren und nicht zu letzt dafür, dass ich einen Teil seines Weges mitgehen durfte.
Univ.-Prof. Dr. Jörg Ott, Department of Marine Biology, Faculty of Life Sciences, University of Vienna
Ein Seminar das mein Leben verändert hat
Es war in 1972, genau vor vierzig Jahren, ich war Schüler im vierten Jahr an der Höheren Lehr- und Versuchsanstalt für Chemische Industrie, Rosensteingasse, als mein Bruder, Wolfgang, mich ermunterte eine Seminarreihe über Evolution an der Universität anzuhören. Ich erinnere mich noch genau, es war ein Seminarraum im sogenannten NIG (Neues Institutes Gebäude), der Raum war gestopft voll, ich bin in einer Reihe weit hinten gesessen. Rupert Riedl, eben von den Vereinigten Staaten zurückgekehrt mit einem Manuskript in der Tasche das die „Ordnung der Lebendigen“ werden sollte, Rupert’s Magnum Opus in Evolutionstheorie. Er trug aus seinem Manuskript vor, und ich habe sofort gewusst, dass ich hier die intellektuelle Herausforderung meines Lebens gefunden habe. Nach dem Vortrag hab ich Rupert angesprochen, und ich bin sicher, ich habe nichts sinnvolles zu sagen gehabt, aber Rupert war großzügig genug den offensichtlich ahnungslosen zu seiner Sprechstunde einzuladen. Selbst als ich zur Sprechstunde kam und meine Ahnungslosigkeit vollkommen offensichtlich gewesen sein musste hat Rupert mich nicht abgewiesen sondern mir drei Bücher geliehen. Zwei weiß ich noch, Remanes Grundzüge und Mayrs Systematics and Evolution. Damit hatte ich eine Aufgabe für den Sommer, neben meiner Praktikantentätigkeit in einem virologischen Labor.
Zwanzig Jahre später stellte sich heraus, dass Ruperts Ideen eine Revolution in der Evolutionsbiologie voraus nahmen, was jetzt als akademische Disziplin den Namen Developmental Evolution (oder auch evolutionäre Entwicklungsbiologie) trägt.
Und das ist das Zeichen wirklicher Kreativität, daß ein Werk genug Vorausblick und Material hat, um mehrere Lebenszeiten mit Aktivität zu füllen. Und noch immer, 40 Jahre später arbeite ich an dem Ziel eine mechanistisch begründete Sicht von organischer Evolution zu erarbeiten, und damit der Vision einer „Systemtheorie der Evolution,“ wie Rupert sie vorhergesehen hat, ihre Gestalt zu geben.
Prof. Dr. Günter P. Wagner, Yale University
Als frisch aus Amerika kommender Bachelor-of-Science, habe ich sofort die Chance als Dissertant Meeresbiologie unter Rupert Riedl fertig zu studieren ergriffen und nie wieder zurückgeschaut. Besonders imponiert an der von Rupert geprägte ‚Wiener Schule der Meeresbiologie‘ hat mich die direkte Anschauung unter Wasser mit der Tauchmethode (und wenn das nicht möglich war, eben mit größtenteils selbstkonstruierten Unterwasserinstrumenten und -kameras). Diese Tradition setzt sich bis heute lückenlos in Austrian Science Fund Projekten mit internationalen Partnern fort und bringt Österreich als Binnenland weiterhin weltweite Anerkennung in der Meeresforschung.
Doz. Dr. Michael Stachowitsch, Department of Marine Biology, Faculty of Life Sciences, University of Vienna
Er bleibt das große Vorbild
Rupert Riedl war über zwei Jahrzehnte mein Lehrer und Vorgesetzter, aber vor allem bleibt er das große Vorbild und die Messlatte in meinem akademischen Bemühen. Weit über seine Wirkung als Wissensvermittler hat er uns Schüler mit seiner Weitsicht, seiner Neugier und seinem Drang zur Zusammenschau beeinflusst. Er hat uns angesteckt und angetrieben, hinter die Kulissen oder unter den Teppich zu schauen, sich nicht mit Lehrbuchwissen zu begnügen, selbst wohlwollende Meinungen zu hinterfragen, und vor allem die Biologie nicht nur als Wissenschaft, sondern auch als festes Fundament für die Beantwortung der großen Fragen der Menschheit zu verstehen und zu verwenden. Als einer der letzten großen Biologen, die es zu Wege brachten, in mehreren Teilgebieten dieser Disziplin echte Standardwerke zu schaffen, hat er zunächst sich selbst und in der Folge seine Schüler und Mitstreiter immer weiter an die Grenzen des Fachs herangebracht. Ich selbst kam erst zu einer Zeit zu ihm, als er bereits die letzte große Tür aufstieß, wo er sich mit den Fragen der Herkunft der menschlichen Vernunft – oder eigentlich der Unvernunft – beschäftigte. Diese Biologie der Erkenntnis führte in der Folge zur Proliferation eines neuen Teilgebietes der Biologie (Kognitionsbiologie), an dessen Etablierung an der Universität Wien ich in der Folge mitarbeiten durfte. Heute ist dieses ehemalige Randthema der Zoologie als eigenes Department und als fakultärer Forschungsschwerpunkt zu einem nicht mehr übersehbaren Element in der Wiener Universitätslandschaft geworden.
Die beiden Jahrzehnte an seiner Seite, als Diplomand und Doktorand, Projekt- und (letzter) Universitätsassistent, schließlich als provisorischer ‚Stammhalter’ der Theoretischen Biologie nach seiner Emeritierung, habe ich nahezu osmotisch seine Einsichten und Perspektiven aufgenommen, Höhen und Tiefen miterlebt, ihm in Vorlesungen assistiert und bei Sitzungen vertreten, zu Konferenzen begleitet und mit ihm den Alltag geteilt. Dabei hat er uns Schülern jene Tugenden vermittelt, auf die es ankommt, wenn man einmal selbst an der ‚Front’ stehen und bestehen will. Wir wurden ermutigt, das Ethos der (Natur-)Wissenschaft rücksichtslos anzuwenden, welchen Winkel dieser Erde oder der menschlichen Seele man auch durchleuchtet. In treuem “Iurare in verba magistri” haben wir durch sein Vorbild den Wert von Theorien verstanden, von Inter- und Transdisziplinarität, von Längsschnittforschung quer zu den institutionalisierten Disziplinen, den Gefahren des Reduktionismus, von Kritikfähigkeit und dem Widerstand gegenüber der Selbstverständlichkeit und Ignoranz. Vielleicht kommt man in der nachträglichen Betrachtung seines Lebens zum Urteil, dass er immer auch das ‚Wie sollen wir leben?‘ gemeint hat, wenn er über das ‚Was können wir wissen?‘ nachdachte. Wahrscheinlich hat Riedl auch in mir diesen ethischen Aspekt der Biologie geweckt, dem ich mich nun einige Jahre später am Lehrstuhl für naturwissenschaftliche Grundlagen der Tierethik und Mensch-Tier-Beziehung widmen kann. Am neuen Messerli-Forschungsinstitut sollen neben Biologie auch Ethik und vergleichende Medizin zum Verständnis der vielfältigen Beziehungen zwischen Tieren und Menschen beitragen und so dem großen Anspruch Riedls folgen, mit einem wahrhaft interdisziplinären Streben und dem Blick für das Ganze die Wissenschaft in den Dienst des Menschen, aber auch des Tieres zu stellen.
Univ.-Prof. Dr. Ludwig Huber, Leiter Vergleichende Kognitionsforschung , Messerli Forschungsinstitut, Veterinärmedizinische Universität Wien